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Foto: Christian Haupt


Oliver Bottini



Frage: Warum Krimis?

O. Bottini: Weil Krimis eines der vielschichtigsten Genres der Literatur sind. Im Idealfall erzählen sie auf anspruchsvolle und ansprechende Weise von Menschen, Gesellschaften, Schicksalen, vom Umgang unserer Kultur mit Problemen, Stärken und Schwächen, von Leidenschaften und den dunklen Seiten der Seele. Darüberhinaus stellen sie strukturelle und dramaturgische Bedingungen an den Autor, was ich beim Schreiben zu schätzen weiß.

Frage: Was bedeutet deutscher Krimi für Sie?

O. Bottini: Viele Bücher, die ich noch nicht kenne.

Frage: Wer ist überschätzt?

O. Bottini: Keiner. Die einen mögen X, die anderen nicht.

Frage: Wer ist unterschätzt?

O. Bottini: Keiner. Die einen mögen X nicht, die anderen schon.

Frage: Krimi – eine Literaturgattung?

O. Bottini: Ein gutes Buch ist ein gutes Buch. Wenn Talent und Handwerkskunst stimmen, ist das Genre egal. Gerade die Krimiliteratur produziert allerdings Unmengen an mittelmäßigen Texten. Was nicht schlimm ist: Wer Krimis nur für den Strandurlaub braucht (schreibt), braucht (will) keine literarische Qualität. Wer Krimis im Feuilleton sehen will, muss andere Ansprüche akzeptieren. Manchen Krimis gelingt es, sie einzulösen, und dann sind sie besser als so mancher "literarische" Roman.

Frage: Wie sind Sie zum Krimi gekommen?

O. Bottini: Ich habe im Laufe von gut 25 Jahren tonnenweise Manuskripte für die Schublade geschrieben, darunter auch einige Krimis. Ich liebe das Genre – im Film, in der Literatur –, aber es muss gut gemacht sein.

Frage: Ihre Lieblingstatwaffe?

O. Bottini: Die, die zu Situation und Figur passt.

Frage: Mord – muss das sein?

O. Bottini: Nicht unbedingt. Aber er ist interessant, weil er eine originäre Schöpfung des Menschen und (neben Totschlag) eine Konsequenz sein kann, wenn die Kommunikation gescheitert ist, wenn Menschen also Probleme nicht mit einem vernünftigen Konfliktmanagement lösen können. Mord im Krimi kann über das Verbrechen hinaus aufzeigen, wie Menschen mit Konflikten umgehen, wie sie psychologisch gestrickt sind. Das ist der Aspekt daran, der mich fasziniert – weniger das Whodunit. Bei mir steht Mord aber nicht im Mittelpunkt, es geht in der Regel um andere Verbrechen; "meine" Morde geschehen dann eher, um diese Verbrechen zu vertuschen.

Frage: Warum schreiben Sie?

O. Bottini: Aus blanker Leidenschaft. Es gibt für mich keine größere Herausforderung, als zu versuchen, den Wust an bewussten und halbbewussten Ideen in eine logische Dramaturgie und einen gelungenen Sprachrhythmus umzusetzen, aus Bildern im Kopf verdichtete Sätze zu formulieren, die idealiter am Ende einen eigenen Sound erzeugen und auf diese Weise tatsächlich eine Art Sinnlichkeit erreichen. Deshalb "Leidenschaft".

Frage: Bilden Sie in Ihren Kriminalromanen die Gegenwart ab?

O. Bottini: Ich erfinde Menschen, die in der Gegenwart leben könnten, und Plots, die starke Gegenwartsbezüge haben. Mein Ziel ist es, realistische Fiktion zu schreiben, die mit der Gegenwart interagiert, aber nicht, Gegenwart abzubilden. Wie sollte das auch gehen? Jedes Autorenhirn ist ein Filter, in dem das verändert wird, was der Autor auf seine subjektive, selektive Weise wahrnimmt. Selbst wer also Gegenwart abbilden möchte, produziert nur seine Version der Gegenwart.

Frage: Wo würden Sie Ihr "Setting" wählen?

O. Bottini: Im Augenblick bevorzuge ich die Fremde (wie Freiburg), weil ich noch keine rechte Idee habe, wie ich literarisch mit der durch Gewohnheit entstandenen Banalität von Orten umgehen kann, die ich gut kenne (wie München). Ich brauche (noch?) Distanz. Die Fremde kann ich mit Geheimnissen, Rätseln, Mythen, Magie füllen, ich kann sie als rätselhaft wahrnehmen, als Fiktion. Das Freiburg meiner Krimis ist Fiktion. Ich würde mir nie anmaßen, das reale Freiburg abzubilden – dafür kenne ich es nicht gut genug. Deshalb versuche ich mich auch nicht an Lokalkolorit.
Der Regisseur André Téchiné hat gesagt: "In fremden Städten kann ich als Fremder noch Entdeckungen machen, denn dort bin ich nicht zum Gefangenen meiner Gewohnheiten geworden." In diesem Satz finde ich mich wieder, vor allem dann, wenn man die "Entdeckungen" nicht nur geografisch sieht. In der Fremde entdecke ich Wörter, Namen, Zusammenhänge, für die ich in meiner Welt blind geworden bin. Dort klingen sie bisweilen magisch, hier bedeuten sie (für mich!) oft nichts über ihre Bedeutung hinaus. Nehmen wir den Freiburger Stadtteil Günterstal, der ein wenig außerhalb liegt: Für mich, seit ich diesen Namen vor ein paar Jahren zum ersten Mal wahrgenommen habe, ein magischer Begriff. Dort lebt Richard Landen, dort steht ein Haus unter einer Weide, und wenn Sie dort spazierengehen, könnte es sein, dass Sie Louise Bonì begegnen. Ich zumindest halte, wenn ich dort bin, immer Ausschau nach ihr.

Frage: Welche Bedeutung hat für Sie Essen und Trinken?

O. Bottini: In kulinarischer Hinsicht keine überragende. In psychologischer eine größere: Beim Essen und Trinken liegen die Wünsche oft im Clinch mit der Vernunft. Sagen wir es so: Kurzfristiges Wohlgefühl versus langfristiges Wohlgefühl. Prinzipiell ist mir Letzteres wichtiger, aber es gibt zum Glück Ausreißer.

Frage: Sex im Krimi?

O. Bottini: Nichts dagegen einzuwenden, ob nun explizit oder in der Ellipse. Aber: Sex überhaupt in der Literatur ist gnadenlos schwierig, wenn man ihn gelungen darstellen will. Das beginnt bei der Begrifflichkeit (die oft die des Autors, nicht die der Figuren ist), geht über die körperlichen Aktionen (Sex in der Literatur lässt ja oft an Akrobatik, Gymnastik, Yoga denken) bis hin zum finalen Moment (wie beschreibt man den im Verhältnis zu seiner Bedeutung für die Beteiligten?) – und über allem stehen Milliarden Klischees (sprachliche, bildliche, männliche, weibliche), die ehrgeizige Autoren zu umgehen versuchen müssen. Wenn es keine literarische Notwendigkeit gibt, Sex zu beschreiben (sprich z.B. den Zustand oder den Charakter der Figuren durch Sex zu beschreiben), arbeite ich auch hier gern mit Andeutungen oder Leerstellen.

Frage: Wenn ja, warum?

O. Bottini: Eben darum: Wenn die literarische Notwendigkeit besteht.

Frage: Wenn nein, warum?

O. Bottini: Siehe Antwort zu "Sex im Krimi?".

Frage: Gibt es einen "Frauenkrimi"?

O. Bottini: Was könnte das sein?

Frage: Für wen schreiben Sie?

O. Bottini: Ich habe die Vision einer Geschichte in Kopf und Gefühl und bastele so lange, bis ich glaube, sie annähernd in einen Roman transformiert zu haben. Da ich unterhaltende, berührende Krimis schreiben möchte, konfrontiere ich diese Vision und mich aber auch immer wieder mit der Frage, wie sich das, was ich da tue, in Bezug auf die Erwartung eines Krimilesers verhält (Struktur, Dramaturgie, Spannungsbögen etc.), und in welchem Maße ich diese Erwartung erfüllen möchte oder nicht.

Frage: Plotentwicklung – Ihr erster Gedanke?

O. Bottini: Unterschiedlich. Bei Mord im Zeichen des Zen ein Bild vor dem inneren Auge – ein einsamer japanischer Mönch, der in Kutte und Sandalen durch den verschneiten Schwarzwald geht. Daraus entstand alles andere. Beim zweiten Krimi um Louise Bonì (zurzeit noch in Arbeit, erscheint im April 2006) begann das Nachdenken mit einem perfiden Plan, also einem Plotbestandteil.

Frage: Machen Sie sich Notizen und wo kommen Ihre Ideen her?

O. Bottini: Ich mache mir Notizen, wenn ich nicht am PC sitze – im Bett, im Zug, beim Einkaufen. Die Ideen kommen bei mir entweder durch konsequentes Überlegen und Arbeiten an einer Szene oder morgens gegen halb fünf, wenn ich eigentlich lieber schlafen als mit einem kreativen Gedanken aufwachen würde.

Frage: Wo schreiben Sie?

O. Bottini: Fast ausschließlich am PC, selten (im Urlaub, auf Reisen) am Notebook.

Frage: Hindert der PC Sie am Schreiben?

O. Bottini: Um Gottes willen, nein! Er erleichtert es mir ungeheuer, weil ich den Text immer wieder überarbeite und dabei eine (überflüssige) Schicht (Wörter, Abschnitte, Dialogzeilen) nach der anderen abziehe, bis nur noch das wesentlich Verdichtete da steht.

Frage: Ihr Lieblingsbuch als Kind?

O. Bottini: Ein paar Beispiele von einigen: Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz; James Krüss: Timm Thaler; Josephine Siebe: Das Teddybuch

Frage: Ihr Lieblingsbuch heute?

O. Bottini: Ein paar Beispiele von einigen: Don Delillo: Weißes Rauschen; Keri Hulme: Unter dem Tagmond; Sophokles: Antigone; Franz Grillparzer: Medea (aus der Trilogie Das goldene Vlies); Christoph Ransmayr: Die letzte Welt; Ernest Hemingway: Wem die Stunde schlägt; Vladimir Nabokov: Pnin; Albert Camus: Der Fremde; Gabriel García Marquez: Hundert Jahre Einsamkeit

Frage: Ihre Lieblings-Krimiautorin / Ihr Lieblings-Krimiautor?

O. Bottini: Fred Vargas / Martin Cruz Smith (der aber leider nicht immer toll ist).

Frage: Ihr Lieblingsfilm?

O. Bottini: Ein paar Beispiele von einigen: Es war einmal in Amerika von Sergio Leone; Alles über meine Mutter von Pedro Almodòvar; Die fabelhafte Welt der Amélie von Jean-Pierre Jeunet; In the Mood for Love und 2046, beide von Wong Kar-wai.

Frage: Ihr Lieblingsgetränk?

O. Bottini: Mineralwasser ohne Kohlensäure, Milchkaffee im Café; Bier und Rotwein hab ich auch ganz gern.

Frage: Kochen Sie?

O. Bottini: Ja, aber ohne großen Anspruch.

Frage: Gehen Sie essen, und wenn ja, wo?

O. Bottini: Im Schnitt einmal pro Woche, meistens in unserem kleinen Stammlokal, dem besten italienischen ristorante in town ("Emporio Italiano").

Frage: Was ist Ihr Lieblingskleidungsstück?

O. Bottini: Aktuell die "Denver" von Lee und meine hellbraune kurze Cordjacke.

Frage: Fußball – ist das ein Thema für Sie?

O. Bottini: Klar. Ich habe jahrelang selbst gespielt, bis es mir vor 2,3 Jahren zu gefährlich wurde (unebene Wiesen, ehrgeizige Hobbykicker, Bänderriss im Sprunggelenk). Und ich gucke Fußball im TV.

Frage: Frauen/Männer – ist das wichtig für Sie?

O. Bottini: Die Beziehung zwischen? Na klar. Im Leben wie im Schreiben. Stolpersteine in beidem sind die Klischees, von denen diese Gesellschaft einfach nicht lassen will und ich als Autor manchmal nicht zu lassen weiß.

Frage: Ihre Lieblingsstadt in Deutschland?
O. Bottini: München und Freiburg.

Frage: Ihr Lieblingsland?

O. Bottini: Italien und Neuseeland.

Frage: Was lieben Sie?

O. Bottini: Meine Frau, das Schreiben, die Sonne, das Leben, die Literatur, mein neues Klavier (ein Bechstein-Traum auf Raten) und einiges mehr.

Frage: Was verabscheuen Sie?

O. Bottini: Arroganz, Zigarettenqualm, Neonazis, Dauerquatscher und einiges mehr.

Frage: Beste Schulnote – worin?

O. Bottini: 1 in Sport, Deutsch, Ethik oder so.

Frage: Schlechteste Schulnote – worin & warum?

O. Bottini: 5 in Latein und Physik (abwechselnd). Warum? Beides so leidenschaftslos, zumindest aus meiner Sicht.

Frage: Ihr Traumberuf?

O. Bottini: Autor

Frage: Haben Sie eine Ahnung, warum Sie diesen Fragebogen beantwortet haben?

O. Bottini: Weil ich gerne über mich und meine Arbeit spreche und nachdenke.


Oliver Bottini
[d.i. Oliver Neumann]
Oliver Bottini – bürgerlicher Name Oliver Neumann – wurde 1965 in Nürnberg geboren. In München studierte er Neue deutsche Literatur, Italianistik und Markt- und Werbepsychologie.

Seit mehr als zehn Jahren sind Kung Fu und Qi Gong wichtige Bestandteile im Leben des Autors. Darüberhinaus beschäftigte er sich publizistisch mit asiatischen (Religions-)Philosophien und Bewegungslehren (2002, Das große O.W. Barth-Buch des Zen / 2004, Das große O.W. Barth-Buch des Buddhismus / 2005, Die Kraft des Tigers. Qi Gong für jeden Tag – zusammen mit Lao Vongvilay, alle O.W. Barth Verlag).

1999 erhielt Oliver Bottini für ein literarisches Romanprojekt ein Literaturstipendium der Stadt München. Für seinen ersten Kriminalroman, "Mord im Zeichen des Zen", wurde er 2005 mit dem 3. Platz in der nationalen Wertung des Deutschen Krimi Preises (Kritikerpreis) ausgezeichnet.
Oliver Bottini ist verheiratet und lebt als Autor und freier Redakteur in München.

Homepage: www.bottini.de

bottini-Mord-im-Zeichen-des-Zen

Die Krimis:

2004, Mord im Zeichen des Zen, Scherz Verlag
2006, Mord im Zeichen des Zen, Fischer Taschenbuch Verlag
2006, (zweiter Roman um Louise Bonì, Titel steht noch nicht fest), Scherz Verlag

Stand: Mai 2005

© Gisela Lehmer-Kerkloh & Thomas Przybilka

Alle Titel und natürlich jedes andere lieferbare Buch können und sollten Sie bei Missing Link in Bonn bestellen, einer Buchhandlung, die sich auf Sekundärliteratur zum Krimi, auf Kriminalliteratur und auch auf die Beschaffung ausländischer Literatur spezialisiert hat.
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Die Befragenden:

Gisela Lehmer-Kerkloh rezensiert Kriminalliteratur. Sie ist Mitglied bei den Sisters in Crime, bei der GVM (Genootschap van Vlaamse Misdaadauteurs), sowie Amiga im Syndikat.
Bei den Alligatorpapieren veröffentlicht sie regelmäßig ihren "Krimi-Kurier" Letzte Buchveröffentlichung:
Siggi Baumeister oder: Eine Verfolgung quer durch die Eifel. Die Eifelkrimis des Jacques Berndorf.
84 S., 2001; EUR 10,50
NordPark Verlag

Thomas Przybilka verdient seinen Lebensunterhalt als Buchhändler. Er ist langjähriges Mitglied der "Autorengruppe Deutschsprachige Kriminalliteratur Das Syndikat". 1989 baute er das international bekannte "Bonner Krimi Archiv (Sekundärliteratur)" [BOKAS] auf. Bei den Alligatorpapieren veröffentlicht er regelmäßig seine "Krimi-Tipps zur Sekundärliteratur zum Krimi." Zahlreiche Publikationen zur Kriminalliteratur in Fachanthologien und -magazinen im In- und Ausland. Kriminalgeschichten in Deutschland, Bulgarien und Spanien. Letzte Buchveröffentlichung:
Siggi Baumeister oder: Eine Verfolgung quer durch die Eifel. Die Eifelkrimis des Jacques Berndorf.
84 S., 2001; EUR 10,50
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