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Pieke Biermann

Frage: Erinnern Sie sich noch, wann Sie Ihren ersten Kriminalroman gelesen haben?

Es könnte "Die rote Zora" oder "Emil und die Detektive" gewesen sein, aber möglicherweise hab ich "Krimi" zuerst im Radio kennengelernt: "Kalle Blomquist" und "Das Schloss des Erfinders" - Kinderfunk im NDR der späten 50er Jahre...

Frage: Was interessiert Sie an Kriminalliteratur?

Ihr Gegenstand: Kriminalität, also die tragicomédie humaine

Frage: Wie sind Sie zum Krimi gekommen?

Durch veritable Mordlust, zu meinem und anderer Leute Glück allerdings fiel mir früh genug ein, dass literarische Morde die intelligentere und elegantere Lösung sind.

Frage: Warum schreiben Sie Krimis?

Weil ich das, was wir "kriminell" nennen (oder eben nicht) und wie wir damit umgehen, für das faszinierendsten soziale Geschehen halte, weil es eine verdammt spannende Herausforderung ist, diesen sich ständig verändernden Stoff zu erzählen und weil Sprache mein Metier ist.

Frage: Seit wann schreiben Sie Kriminalromane?

Seit 1986.

Frage: Ihre erste Krimi-Veröffentlichung?

POTSDAMER ABLEBEN, 1987, Rotbuch Berlin

Frage: Als deutsche Autorin: Was bedeutet deutsche Krimininalliteratur für Sie?

Nichts Besonderes. Ich bin gebürtige Deutsche und Schriftstellerin, aber keine "deutsche Schriftstellerin". Solche Kennzeichnungen sind im harmlosesten Fall ahnungslos-anachronistisch, im Fall von Kriminalliteratur aus deutschsprachigen Landen ist das "nationalliterarische" Etikett zumeist sogar die klammheimliche Bitte um mildernde Umstände.

Gibt es einen Krimiautor / eine Krimiautorin, der oder die Sie beeinflußt hat?

Wenn mich überhaupt je ein Autor beeinflusst hat, dann vermutlich am meisten die Autoren des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Schriftsteller und -innen dagegen könnte ich reihenweise aufzählen, manche heißen auch DichterInnen, aber das ist wurscht, wichtig ist das unerhörte Risiko des poetischen Zugangs zur Welt. Beim Wahrnehmen wie beim Produzieren. Die Schöpfer von Bildern, Filmen, Musik gehören übrigens auch dazu.

Frage: Bilden Sie in Ihren Kriminalromanen die Gegenwart ab?

Nein, ich versuche, sie zu schreiben, in Literatur zu übersetzen.

Frage: Wo würden Sie Ihr "Setting" wählen?

Mein Stoff ist Berlin, und das ist keine "Region".

Frage:Halten Sie das Schreiben von Kriminalromanen für schwieriger oder weniger schwieriger als das Schreiben in einer anderen Literaturgattung?

"Dat is für misch persönlisch unintressant." (Wilfried Schmickler/Jürgen Becker) Ich schreibe Literatur.

Frage: Welches (Sub-)Genre der Kriminalliteratur bevorzugen Sie?

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Frage: Findet Ihrer Meinung nach der Kriminalroman im Feuilleton gebührende Beachtung?

Mich stört die grassierende generelle Ahnungslosigkeit im derzeitigen deutschsprachigen Feuilleton; sie trifft auch Kriminalliteratur.

Frage: Arbeiten Sie zur Zeit an einem neuen Kriminalrorman / an einer neuen Krimistory?

Ja.

Frage: Halten Sie das Genre Kriminalliteratur für eine wichtige Literaturgattung?

Ja, selbstverständlich! Zum einen verhilft doch vermutlich der ganze Ramsch-zum-Wegschnabulieren in Text&Bild mehr Bundesbürgern zum Ruhig-Durchschlafen als die Produktpalette von Pharma- und Alkoholindustrie zusammen, und das hat ja bisher recht beruhigende Folgen für die Leistungsfähigkeit und innere Friedlichkeit dieses Landes; zum andern ist alle gute Literatur Grundnahrungs- und Rauschmittel gleichzeitig.

Frage: Sex im Krimi?

Sex gehört zum Leben, Literatur auch, also...

Frage: Gibt es einen "Frauenkrimi"?

Ja, als peinliches Marketingetikett.

Frage: Für wen schreiben Sie?

Für alle, die lesen können.

Frage: Plotentwicklung - Ihr erster Gedanke?

Meine vier Romane haben alle mit einem Ort angefangen.

Frage: Machen Sie sich Notizen und wo kommen Ihre Ideen her?

Mein Stoff liegt auf der Straße, und ich käme vor lauter Notizenmachen gar nicht zum Erleben und Schreiben...

Frage: Krimi - eine Literaturgattung?

Kriminaliteratur ja, selbstverständlich.

Frage: Wo schreiben Sie?

Zu Hause.

Frage: Hindert der PC Sie am Schreiben?

Nein - wieso? Ich kann mein iBook ja überall mit hinnehmen (außer in die Badewanne).

Frage: Welchen Kriminalroman hätten Sie selber gerne geschrieben?

Keinen wirklich - ich müsste dafür ja auch ein anderer Mensch sein.

Frage: Als deutsche Autorin: Haben Sie Kontakt zu ausländischen Kollegen/Kolleginnen?

Selbstverständlich. Ihre Wertschätzung und Freundschaft war lange Zeit mein wichtigstes Überlebensmittel.

Frage: Ihre Lieblingstatwaffe?

Ich finde solche Kategorien obszön.

Frage: Mord - muss das sein?

Im Leben müssen manche Morde offenbar sein, weil es keine Möglichkeit gab, sie ungeschehen bleiben zu lassen.

Frage: Wer ist überschätzt?

Jeder Willi Wichtig, egal welchen Geschlechts.

Frage: Wer ist unterschätzt?

Jeder von den Willi Wichtigs Plattgewalzte, egal welchen Geschlechts.

Frage: Ihr Lieblingsbuch als Kind?

Ein furchtbar schweres: das Wilhelm-Busch-Album, das mein Vater meiner Mutter während ihrer Schwangerschaft mit einer meiner Schwestern geschenkt hatte (1930er Jahre) - es hatte coffee-table-book-Format.

Frage: Ihr Lieblingsbuch heute?

Eins, das es heute fast gar nicht mehr gibt: Das Scheckbuch, in dem jemand mir gerade einen satten Scheck ausfüllt.

Frage: Ihre Lieblings-Krimiautorin / Ihr Lieblings-Krimiautor?

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Frage: Ihr Lieblingsfilm?

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Frage: Ihr Lieblingsgetränk?

Anständiger Weißwein.

Frage: Welche Bedeutung hat für Sie Essen und Trinken?

Eine ebenso große wie meine Arbeit, Liebe, Sex, Solidarität... (alphabetische Reihen-, keine Rangfolge)

Frage: Kochen Sie?

Sehr gern und sehr gut.

Frage: Ihr Lieblingsgericht [Rezept am Schluß des Fragebogens]:

Austern satt.

Frage: Gehen Sie essen, und wenn ja, wo?

Immer seltener, seit die fanatischen Nikotin-Abolitionisten gute alte Sozialitäten zerschlagen.

Frage: Was ist Ihr Lieblingskleidungsstück?

Jedes, in dem mein jeweiliger innerer Zustand und die äußere Situation perfekt zusammenpassen.

Frage: Fußball - ist das ein Thema für Sie?

Ja natürlich.

Frage: Ihre Lieblingsstadt in Deutschland?

Ich lebe seit 32 Jahren in Berlin.

Frage: Ihr Lieblingsland?

Ich lebe - mit Unterbrechungen - seit 58 Jahren in Deutschland.

Frage. Was lieben Sie?

Freiheit, Gerechtigkeit, Risikobereitschaft, Empathie und die Klugheit, die aus Herz und Hirn gemeinsam kommt, also: Witz.

Frage. Was verabscheuen Sie?

Feigheit vor dem Freunde, Indolenz, Abhängigkeit von mutwilligen Ignoranten und Langweiler, die zum Lachen in den Keller gehen.

Frage: Beste Schulnote - worin?

Im Abi: Kunst, Englisch, Französisch (1)

Frage: Schlechteste Schulnote - worin & warum?

Im Abi: Mathematik (4) - vermutlich bin ich fürs Körperlose nicht geschaffen.

Frage: Ihr Traumberuf?

Der, den ich habe - er ist albtraumhaft schwer und traumhaft frei, aber vermutlich ist das eine ohne das andere nicht zu haben.

Frage: Haben Sie eine Ahnung, warum Sie diesen Fragebogen beantwortet haben?

Aus Eitelkeit natürlich. Andererseits bin ich auch einfach ein höflicher Mensch und gehe auf nette, respektvolle Bitten immer gern ein.


Die Befragung erfolgte ohne Zeugen im September 2008

Das Rezept
Für "Austern satt" empfehle ich:
1.als Bezugsquelle - falls man gerade nicht da ist, wo die Viecher leben - einen Großhändler Ihres Vertrauens (wegen der Bezahlbarkeit und der Frische)
2. ganz ordinäres dunkles Vollkornbrot
3. eine Pfeffermühle mit schwarzen Körnern
4. Zitrone und/oder rosa Vinaigrette
5. Champagner satt

(Ich werd'n Deubel tun, internetöffentlich meine Rezepte zu verraten, ich möchte nicht ins Casting-Schleppnetz von Fernsehkochshows geraten!)


Pieke Biermann
freie Schriftstellerin und Übersetzerin
Geboren 1950 im niedersächsischen STOLZENAU, kurz vor Schulbeginn Umzug nach HANNOVER-Linden. Von 1968-76 studierte Pieke Biermann Deutsche Literatur und Sprache (bei Hans Mayer), Anglistik und Wissenschaft von der Politik an der Technischen Universität Hannover, von 1973/74 Politische Wissenschaft (Scienze Politiche) an der Universitá degli studi Padova. 1976 erhielt sie den Magister Artium "mit Auszeichnung" (Deutsche Literatur und Sprache/Wissenschaft von der Politik), ihre Magisterarbeit ging über unbezahlte Hausarbeit Berufsbild: Herz der Familie - Materialien zur Analyse eines Mehrstellenarbeitsplatzes.
In 1976 erfolgte ihr Umzug nach Berlin-Schöneberg, wo sie 1976-1978 ein Graduiertenstipendium für ihre Doktorarbeit Der Besen biegt sich, aber die Hexe nicht - Gibt es spezifisch weibliche Formen politischer Organisation? (nicht beendet) bekam.
Pieke Biermann ist von Kindheit an gewohnt, eigenes Geld zu verdienen - Jobs aller Klassen: vom Treppenputzen und Geschirrspülen im Krankenhaus zur Briefträgerin und Verlagslektorin, dazwischen Anschaffen in Nachtclubs der höheren Mittelklasse; dank letzterer Berufserfahrung ein paar Jahre "Frontfrau" der westdeutschen Hurenbewegung und Co-Initiatorin des ersten deutschen Hurenballs (Berlin 1988).
Abgesehen von zwei angestellten Jahren im Rowohlt-Verlag (Reinbek) ist sie seit 1976 im "freien Schreibwarenhandel": als Schriftstellerin, Übersetzerin, Journalistin. Eigene Arbeiten multimedial: Print, Funk, Fernsehen. Übersetzungen aus dem Italienischen und Englischen. Seit 1986 schreibt sie auch Fiction: Romanserie um eine Berliner Mordkommission, Short Stories.
Preise:
1990 mit Auszügen aus dem Roman Violetta beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt: 3sat-Stipendium
1991 Deutscher Krimipreis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres 1990 (Violetta)
1994 Deutscher Krimipreis (ebenfalls Platz 1) für 1993 (Herzrasen)
1997 Berliner Krimipreis "Reinickendorfer Krimi-Fuchs"
1998 Deutscher Krimipreis (Platz 2) für 1997 (Vier, Fünf, Sechs)


Homepage: z.Zt. noch Baustelle



Die Krimis:
1987 POTSDAMER ABLEBEN, Rotbuch TB
1990 VIOLETTA, Rotbuch TB
1993 HERZRASEN, Rotbuch TB
1997 VIER, FÜNF, SECHS, Goldmann Manhattan

Die Krimikurzgeschichten
1997 BERLIN, KABBALA

non-fiction:
2008 DER ASPHALT UNTER BERLIN - KRIMINALREPORTAGEN, Pendragon

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biermann-vier-Fuenf-sechs biermann-Der-Asphalt-unter-Berlin biermann-berlin-kabala

Alle Titel und natürlich jedes andere lieferbare Buch können und sollten Sie bei Missing Link in Bonn bestellen, einer Buchhandlung, die sich auf Sekundärliteratur zum Krimi, auf Kriminalliteratur und auch auf die Beschaffung ausländischer Literatur spezialisiert hat.
Buchhandlung Missing Link
Zweigniederlassung Bonn
Thomas Przybilka
Buschstr. 14
53113 Bonn
Fax: 0228 - 24 21 385
Tel: 0228 - 24 21 383
e-mail: mlbonn@t-online.de
- deutsche Bücher stets porto- und verpackungskostenfrei! - fremdsprachige Titel ab einem Rechnungsendbetrag von EUR 52,00 innerhalb der BRD stets porto- und verpackungskostenfrei!


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Die Befragenden:

Gisela Lehmer-Kerkloh rezensiert Kriminalliteratur. Sie ist Mitglied bei den Sisters in Crime, bei der GVM (Genootschap van Vlaamse Misdaadauteurs), sowie Amiga im Syndikat.
Bei den Alligatorpapieren veröffentlicht sie regelmäßig ihren "Krimi-Kurier" Letzte Buchveröffentlichung:
Siggi Baumeister oder: Eine Verfolgung quer durch die Eifel. Die Eifelkrimis des Jacques Berndorf.
84 S., 2001; EUR 10,50
NordPark Verlag

Thomas Przybilka verdient seinen Lebensunterhalt als Buchhändler. Er ist langjähriges Mitglied der "Autorengruppe Deutschsprachige Kriminalliteratur Das Syndikat". 1989 baute er das international bekannte "Bonner Krimi Archiv (Sekundärliteratur)" [BOKAS] auf. Bei den Alligatorpapieren veröffentlicht er regelmäßig seine "Krimi-Tipps zur Sekundärliteratur zum Krimi." Zahlreiche Publikationen zur Kriminalliteratur in Fachanthologien und -magazinen im In- und Ausland. Kriminalgeschichten in Deutschland, Bulgarien und Spanien. Letzte Buchveröffentlichung:
Siggi Baumeister oder: Eine Verfolgung quer durch die Eifel. Die Eifelkrimis des Jacques Berndorf.
84 S., 2001; EUR 10,50
NordPark Verlag


Die Befragungen von Gisela Lehmer-Kerkloh und Thomas Przybilka
Ein Service der Alligatorpapiere.
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